Full Canvas
Full Canvas ist die englische Bezeichnung einer hochwertigen Verarbeitungsmethode von Herrensakkos. Canvas bedeutet so viel wie Leinen oder Leinwand, womit eine Einlage aus festerem Gewebe gemeint ist. Auf Deutsch bezeichnet man diese Einlage geimeinhin als Rosshaareinlage. Durch die Festigkeit der Einlage hat der Maßschneider die Möglichkeit, dem Sakko eine Festigkeit zu verleihen, es zu strukturieren. Durch das Dressieren mit Dampf definiert er es in seiner dreidimensionalen Form.
Form und Förmlichkeit
Je mehr Form, desto steifer wird das Jackett in seiner Konstruktion. Dies ist je nach Förmlichkeit mehr oder weniger erwünscht: ein Frack soll in jeglicher Hinsicht „steifer“ sein als ein lässiges italienisches Sakko aus Leinen für warme Sommerabende. Folglich setzt man Einlagen mal mehr, mal weniger ein: Full Canvas Sakkos haben eine komplette Rosshaareinlage, Half Canvas ist weniger aufwändig und eine besondere Kombination zweier Verfahren. Unstrukturierte Sakkos dagegen haben gar keine großflächige Einlage.
Die Full Canvas Sakko Konstruktion
Die Konstruktion eines Herrensakko erfolgt aus mehreren Schichten verschiedener Stoffe. Als Träger nimmt man hauptsächlich zwei dieser Schichten wahr: außen und innen. Die äußere Schicht ist beim Tragen sichtbar, denn es ist ganz einfach der Stoff, den man sich beim Maßschneider ausgesucht hat. Solche Stoffe haben allerdings verschiedene praktische Nachteile beim Tragen des Kleidungsstücks. Insbesondere beim An- und Ausziehen gleiten nicht geschmeidig über andere Stoffe hinweg. Außerdem sind die Oberstoffe nicht fest genug, um eine gewünschte Form zu halten und müssen unterstützt werden.
Das Innenfutter
Um sowohl beim An- und Ausziehen über den Stoff des Oberhemdes oder Rollkragenpullovers zu gleiten und auch beim Tragen nicht hängen zu bleiben, versieht man Sakkos innen mit einem speziellen Futterstoff. Üblicherweise ist dies eine Art Kunstseide, die man sich bei Maßanzügen eigens auswählen kann.
Full Canvas aus Rosshaar
Es gibt aber noch eine weitere unsichtbare Stoffschicht, aus denen das Sakko besteht: das Canvas, was auf Deutsch so viel wie (grobes) Leinen bedeutet. Die korrekte Bezeichnung hierzulande lautet Rosshaareinlage und es ist tatsächlich so: in der Schneiderei verwendet man seit Jahrhunderten Einlagen aus gewebtem Rosshaar. Heutzutage handelt es sich meist um eine Kombination aus Rosshaar und Baumwolle, wohingegen bei Bespoke Maßanzügen der absoluten Spitzenklasse im Revers auch Kamelhaar als sog. Grundwattierung eingesetzt wird. Diese Einlagen sind hochelastisch, haltbar, atmungsaktiv und lassen sich insbesondere perfekt dressieren – also mittels Dampf in Form bringen.
Die Reiser Manufaktur bietet in der klassischen Made to Measure Linie für Maßanzüge die Varianten Full Canvas, Half Canvas und unstrukturiert. Im Bereich Bespoke Maßanzug, der allerhöchsten Form der Schneiderkunst, wird ohnehin jeder Schritt individuell vollzogen. Hier entscheidet der Reiser Herrenschneider Detlev Georg Diehm mit dem Kunden gemeinsam, ob und wie stark das Sakko strukturiert werden soll.
Fused (geklebt), pikiert und handpikiert
Abgesehen von qualitativen Unterschieden des Materials der Einlage selbst, gibt es vollkommen unterschiedliche Verarbeitungsweisen. Das Pikieren stellt hierbei die Königsdisziplin dar. Es ist eine Nähtechnik zur dauerhaften elastischen Verbindung zwischen zwei Stoffschichten.
Handpikiert wird aufgrund des hohen zeitlichen Aufwands heute nur noch bei den absoluten Spitzenprodukten der Herrenschneiderei, wie etwa den Reiser Bespoke Maßanzügen von Detlev Georg Diehm. Der Pikierstich führt dann zu den typischen im Zickzack angeordneten Nähten.

Ein handpikiertes Bespoke Sakko von Bespoke Maßschneider Detlev Georg Diehm
Allerdings kann auch mittels einer speziellen Maschine hinreichend gut pikiert werden, wie dies bei den Reiser Full Canvas Made to Measure Maßanzügen der Fall ist.
Anzüge von der Stange sind selten pikiert, sondern verwenden hauptsächlich Viskoseeinlagen, die thermoplastisch verklebt werden. Diese Verarbeitungsmethode bezeichnet man als Fused. Das Ergebnis ist aber im Vergleich zu pikierten oder insbesondere handpikierten Verbindungen wesentlich steifer und weniger federnd elastisch.
Eine Kombination zwischen Pikieren und Fused stellt das Half Canvas Verfahren dar: es ist nicht so hochwertig wie das Full Canvas Verfahren und kann als Alternative bei den Reiser Made to Measure Anzügen gewählt werden.
Full Canvas: elastisch perfekte Form bei Made to Measure Maßanzügen
Beim Full Canvas geht es in der traditionellen Verarbeitung darum, dass das Sakko beim Tragen seine Form bewahrt – und das im wahrsten Sinne des Wortes: denn Förmlich kommt von Form und bedeutet „an eine bestimmte Form gebunden“. Man kennt dies von besonders förmlichen Kleidungsstücken, wie einem Frack für abends oder dem Cutaway für unter Tags. Aber auch von der englischen Mode ganz allgemein, denn sie ist förmlicher als etwa die italienische – und das hängt eben auch mit der Strukturierung der Sakkos zusammen.
Die Stärke der Einlage beeinflusst die Form. Insbesondere die Ausformung des Brustbereichs spielt dabei eine besonders große Rolle. Typische englische Maßanzüge sind daher stark strukturiert – egal ob aus Tweed für die Jagd oder als Nadelstreifen für das Büro. Sie wirken insgesamt substanzieller und so, als würden sie besser passen. Full Canvas Rosshaareinlagen haben durch ihre Pikierung eine elastische Verbindung zum Oberstoff und passen sich zudem mit der Zeit dem Träger an. Dabei wird das Sakko immer geschmeidiger und perfektioniert den strukturierten Look britischer Bespoke Maßanzüge, wie man sie von den Royals kennt. Natürlich ist aber auch klar: die Verarbeitung ist wesentlich aufwändig als alle anderen Verfahren, insbesondere mit Handpikierung.
Soft Tailoring
Britische Herrenmode mag für ihre Förmlichkeit und Full Canvas bekannt sein, jedoch interpretiert dies jedes Haus der berühmten Savile Row etwas anders. So trägt King Charles III. seit jeher am liebsten Anzüge in einer weicheren Anmutung, man bezeichnet dies auch als Soft Tailoring. Durch weiche Übergänge, wie etwa von den Schultern zu den Ärmeln, wirkt das Kleidungsstück geschmeidiger, ohne dass seine Förmlichkeit und Struktur reduziert wird.